Syncopation I: Eine Einführung

Eine Einführung in Syncopation I

“Hey, was ist eigentlich eine Synkope?”
“Deine Eins.”

Geschichte

Die Entstehungsgeschichte von “Progressive Steps To Syncopation For The Modern Drummer”, oder kurz “Syncopation I”, ist, wie so oft, die Geschichte von jemand, der seine Arbeit effizienter gestalten wollte. Ted Reed arbeitete in den 50er Jahren als Schlagzeug Lehrer in New York. Damals gab es nicht sehr viel Unterrichtsmaterial zum Thema Synkopierung, daher schrieb er für jeden Schüler entsprechenden Übungen während des Unterrichts auf. Bei 50-60 Schülern pro Woche eine Menge Schreibarbeit, die ihren Tribut in der Form von schmerzenden Händen und Armen forderte. Schließlich wurde es Ted Reed zu viel, in langen, nächtlichen Sitzungen brachte er seine Notizen in Form, gab das Resultat in Druck und ließ sich 200 Kopien davon anfertigen, so dass er im Unterricht nur noch die für den Schüler relevanten Seiten aushändigen mußte.

Zum Glück war Mr. Reed so klug, sich ein Copyright auf die gesammelten Blätter zu sichern, und so konnte die Erfolgsgeschichte ihren Lauf nehmen.

2013 kam “Syncopation I” auf den zweiten Platz in der Liste der “25 Timeless Drum Books”, nur “Stick Control” erhielt mehr Stimmen. Von 1958, dem Erscheinungsjahr, bis heute haben unzählige Drummer mit diesem Buch gearbeitet und immer neue Interpretationen, sog. “Syncopation Systems” entwickelt, ein Beleg dafür, wie zeitlos und vielseitig “Syncopation I” ist.

Was ist nun das Besondere daran?

Auf den ersten Blick ist “Syncopation I” nur eine Ansammlung von synkopischen Leseübungen für die Snare, begleitet von einer “Four on the floor”-Bassdrum. Dazu gibt es einige Akzent-Studien in Triolen und Sechzehnteln, nichts davon erscheint aus der heutigen Sicht besonders spektakulär. Was ist also die Magie, die Drummer seit Erscheinen des Buchs inspiriert?

Vielleicht ist es die Zeitlosigkeit von “Syncopation I”. Es ist stil-agnostisch, kennt keinen Zeitgeist, es interpretiert nicht und fordert deshalb immer wieder jede neue Generation von Drummern zur Interpretation heraus. Es ist vermutlich die kompletteste Sammlung rhythmischer Muster in 44, Muster, die in jeder Form der westlichen Musik vorkommen und daher universell verwendbar sind. Oder, frei nach Kurt Tucholsky: “Syncopation I” ist das Fleischextrakt, aus dem noch viele Suppen gekocht werden.

Diese Suppen sind die “Synkopation Systems” und einer der Meisterköche war Alan Dawson, herausragender Drummer und Lehrer, den meisten vor allem als Lehrer des großen Tony Williams bekannt. Seine geniale Art, wie er “Syncopation I” in seinem Unterricht verwendete, ist legendär, und seine “Eight Triplet Ways”-Interpretationen sind wohl eines der bekanntesten Systeme, dessen Beherrschung Pflicht für jeden (Jazz)-Drummer ist.

Die erste Interpretation der “Eight Triplet Ways” sieht so aus:

Swing-Time

R.H.: spielt Zeile.
L.H.: füllt Triolen auf S.D.
L.F.: H.H. auf 2 & 4
Kurz = Tom
Lang =.R.F. auf B.D. mit C.C.

Übersetzung: Interpretiere die Übung als Swing, spiele die geschriebenen Noten mit der rechten Hand, wobei kurze Noten auf dem Tom und lange Noten, zusammen mit der Bass Drum, auf dem Becken gespielt werden. Die linke Hand füllt die Triolen auf der Snare Drum, der linke Fuß spielt die Hi-Hat auf 2 und 4.

Dazu eine kurze Notation (z.B. die ersten zwei Takte von Übung 1). Der Drummer muß nun

  • die Übung als Swing interpretieren
  • die kurzen und langen Noten in der Übung erkennen
  • die unterschiedliche Orchestrierung kurzer und langer Noten berücksichtigen
  • die Koordination von R.H, L.H, R.F. und L.F. meistern

Aber es gibt auch noch andere Arten der Interpretation:

Etwas in Rock gefällig?

Cut-Time

R.H.: Halbe auf H.H.
L.H.: Backbeat auf S.D.
R.F.: Zeile auf B.D.

Bonham-Style-Triplet-Fills?

Swing-Time

R.H., L.H.: spielen die Zeile “hand to hand”
R.F: B.D. füllt die Triolen
L.F.: H.H. auf 2 & 4

Wie man sieht, die Variationsmöglichkeiten sind nahezu grenzenlos.

Das Besondere an “Syncopation I” ist also nicht der Inhalt an sich, sondern das, wozu er Drummer immer wieder aufs neue inspiriert. Es ist das Erlebnis, wie aus einer rhythmischen Figur etwas neues entsteht, ein Groove, ein neuer Fill, manchmal eine völlig neue Sichtweise auf Rhythmus überhaupt. Und ganz nebenbei wird durch die Arbeit mit dem Buch auch noch

  • das Lesen verbessert
  • die Koordination verbessert
  • die Fähigkeit, Notentexte zu interpretieren entwickelt
  • die Kreativität gefördert

Und das nun schon seit fast 60 Jahren.